Me ne frego!
Heinrich Leitner (HL) ad primae partis quaestionem II
De Deo: An Deus sit. – Über Gott: Ob Gott sei.
Editio Leonina
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Wir brauchen nicht mehr drum rum reden oder versuchen, es irgendwie spannend zu machen: Ja, Gott existiert. CDH hat letzte Woche die Antwort auf die zweite Quaestio eh schon verraten. In fünf knappen, aufreizend knappen Argumenten wird’s von Thomas im dritten Artikel bewiesen. Und ich soll jetzt lang drüber schreiben!?
Thomas war nicht der erste und nicht der letzte, der es unternahm, das Dasein Gottes vernünftig zu begründen. In der langen Geschichte der Philosophie war das ein stetes Bemühen. Wenn wir vom Gottesbeweis sprechen, dann müssen wir im Plural sprechen. Wir werden uns fragen müssen, warum das so ist. Thomas gibt selbst nicht einen Beweis, er zeigt fünf Wege, die uns zur Erkenntnis vom Dasein Gottes führen. Das Besondere scheint gar nicht das Ansinnen oder das erzielte Ergebnis, sondern die Form, die es annimmt. Die lakonische Kürze, die Souveränität der Durchführung und die getroffene Auswahl.
Die mannigfaltigen Formen des Beweises des Daseins Gottes, die die lange Geschichte der Philosophie hervorgebracht hat, zeigt aber auch, dass eine abschließende Verständigung über das Dasein Gottes nicht gewonnen werden konnte. Wieso hätte man immer wieder von Neuem ansetzen müssen, wenn der Beweis ein für alle mal gelungen wäre? Und dass Thomas fünf Wege anbietet darf als ein Hinweis darauf gelten, dass die Attraktivität der angebotenen „Wege“ Zielgruppen spezifisch schwankt. Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall? Der Beweis vom Dasein Gottes ist alles andere als ein unstrittiger Teil eines philosophischen Lehrwerks, auf das wir zugreifen könnten, wenn wir über „Gott und die Welt“ nachdenken. So vielfältig die Formen der Beweisführungen sind, so vielfältig auch die Argumente, die gegen sie vorgebracht wurden. Kaum wurde der Beweis vom Dasein Gottes in neuer Form vorgetragen, fand sich ein philosophischer Kopf, der ihn aus guten Gründen widerlegen zu können meinte. Thomas selbst ist so ein Kopf. Und er bettet seine „Wege“ in die Beurteilung eines Irrwegs ein, den des ontologischen Gottesbeweises vom Heiligen Anselmus. Er unterzieht ihn einer grundsätzlichen Kritik und kommt zu dem Ergebnis, dass er zwar nett gemeint ist aber gar nichts beweist.
Aus diesem jahrtausendelangen Hin und Her von Argumenten und Gegenargumenten ziehen wir heute den Schluß, den Versuch Gott zu beweisen, komplett aufgeben zu können, ja zu müssen. Der Versuch, Gott zu beweisen, scheint angesichts der immer wieder ins Feld geführten Gegenargumente verunglückt zu sein. Andererseits haben es die Kritiker auch nicht vermocht, die Unbeweisbarkeit zu beweisen und jeder Kritik folgte alsbald die Kritik der Kritik und ein neuer Anlauf der alten Beweisabsicht.
Das klingt nicht so, also bräuchte man nur einmal kräftig durchwischen, alle Vernunftunreinheiten rauskehren und unseren Kopf ein für allemal von (animistischen) Aberglauben rein waschen. Es sind ja keine religiösen Eiferer, die uns im beigen Regenmantel an der Haustür überfallen und mit uns über Gott reden wollen. Es sind nicht die Schlechtesten und wahrlich keine Blödmänner, die in ihrer Sophophilie immer wieder davon anfangen. Es sind tragende Säulen des europäisch-abendländischen Gebäudes, Autoritäten, ohne die unsere Denken und Wollen, ja unsere Welt nicht so wäre wie sie jetzt ist. Platon und Aristoteles, Augustinus und Anselm – ok, alles „alte“ Herren, ziemlich weit weg. Aber will man wirklich auch Leibniz vorwerfen, er wäre (logisch) nicht klar im Kopf gewesen? Und Descartes selbst zu einem genius malignus erklären? Kant, so dachte man, hatte dem Gottesbeweis ein für allemal den Garaus gemacht. Es hat ihm den Titel des Alleszermalmer eingebracht. Doch schon wenige Jahre nach dem Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft haben einige der feurigsten Kantianer, die co-genialen Schelling und Hegel, ihren Meister darin kritisiert, dass er die Beweise vom Dasein Gottes gänzlich mißverstanden habe. Und ich bekenne, dass ich der Kantschen Kritik so gut folgen kann wie der Hegelschen Kritik an ihr. Und hat nicht der nämliche Kant, kurz nachdem er die theoretischen Beweise vom Dasein Gottes für ungültig erklärte, einen moralisch-praktischen nachgeschickt, der uns das Postulat von der Exitenz Gottes zur Pflicht machte?
Nehmen wir einen Moment den Gutfall an und gehen davon aus, dass es einen gültigen Beweis vom Dasein Gottes gibt. Was wäre die Folge? Der Fall ist gar nicht so hypothetisch wie viele glauben. Auf ZEIT ONLINE fand sich am 22. August 2014 die Meldung, die Existenz Gottes sei nun mathematisch bewiesen. Der Beweis sei durch einen Computer überprüft und bestätigt. Auf die Titelseite der großen Weltblätter hat es diese Nachricht nicht geschafft. Sie ist eher eine Randnotiz unter der Rubrik „Kurioses“. Bereits am 9. September 2013 hatte Spiegel Online mit der Überschrift „Mathematiker bestätigen Gottesbeweis“ darüber berichtet: „Jetzt sind die letzten Zweifel ausgeräumt. Gott existiert tatsächlich.“ Gab es daraufhin Talkshows, in denen namhafte Atheisten mit großem „mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa“ öffentlich ihren Irrtum bekannten und ihren Kircheneintritt verkündeten? Nein. Auch keine Siegesfeiern der endlich Bestätigten auf dem Petersplatz in Rom, in Mekka oder Wittenberg. Nichts. Harald Martenstein vermutet in einer launigen Kolumne, das läge daran, dass der Beweis einfach zu kompliziert und nur von ausgezeichneten Mathematikern zu verstehen sei. Er sei einfach nicht medientauglich. Falls Gott wirklich daran interessiert sei, seine Existenz auf eine Weise zu beweisen, die in den Medien Ressonanz zeige, müsse er wohl „old school“ zu Sintfluten und einer live Verwandlung von Maybrit Illner in eine Salzsäule greifen.
Das ist aufschlußreich. Kurt Friedrich Gödel, einer der bedeutendsten Mathematiker und Logiker, unternahm in seinen späten Jahren den Versuch, den ontologischen Gottesbeweis mit mathematischen Mitteln zu begründen. Er wollte zeigen, dass der ontologische Gottesbeweis so geführt werden kann, dass er den modernen logischen Maßstäben gerecht wird. Ich vermag ihm nicht zu folgen und halte mich lieber an Anselm, Descartes und Hegel. Bei Gödel sieht der Beweis so aus und schließt mit G(x):
Ist es zynisch, ironisch oder einfach nur absurd wenn ZEIT ONLINE am Ende fragt: „Was halten Sie von diesem Beweis? Glauben Sie an G(x)?“ Mit einer gnadenlosen Unbekümmertheit antworten denn auch die kommentierenden Leser. Die Besserwisserei reicht von der behaupteten Falschheit der Axiome, über den Vorwurf von Schlußfehlern bis zur Klage, es würden ja eigentlich nur langweilige Selbstverständlichkeiten präsentiert.
Was daran entsetzt ist nicht so sehr die Ungehobeltheit einer fehlenden akademischen Kinderschule. Es ist vielmehr die selbstverständliche Sicherheit, dass solche Versuche einer vernünftigen Selbstaufklärung nichtig und überflüssig sind. Der gewiefte Schlaumeier „erkennt“, dass an all diesen Vernüfteleien nichts dran ist und läßt sich durch solch Tricksereien nicht hinters Licht führen. Natürlich ist der Hut entgegen allem Anschein nicht wirklich leer, aus dem dann ein Kaninchen und eine Taube gezaubert wurden. Wir lassen uns den Trick noch zwei mal, noch zwanzig mal zeigen. Wir kommen nicht drauf, wie das geht. Aber wir „wissen“, das ist ein Trick. Er stimmt nicht zusammen mit all dem, was wir sonst von der Welt, von Zylindern, Kaninchen und Tauben wissen. Selbst kleine Kinder merken sehr schnell, dass dieser Zauberer kein gefährlicher Mann, sondern nur ein Spaßmacher ist. Seine Anstrengung gilt nicht dem Zaubern, sondern unserer Belustigung. Vielleicht führen wir unsere Kinder in Wahrheit nicht deshalb dorthin, um ihnen die Welt (und sei es nur in der Phantasie) verzaubern zu lassen, sondern um ihnen zu zeigen, dass all dem (falschen) Zauber nichts dran ist.
Gottesbeweise gelten uns heute als unprofessionelle Tricksereien, als argumentative Zauberkunststückchen, die freilich nicht mehr recht belustigen können. Man mag es noch interessant finden, David Copperfield auf die Schliche zu kommen. Den nerdigen Ersatzhandlungen eines Leibniz, Hegels oder Gödels müssen wir uns so wenig zuwenden wie den „Wachtürmen“ religiöser Eiferer oder den Bildarchiven selbsternannter UFO-Forscher.
Alles Spinner vor dem Herrn? Nicht dass alles Alte auch das Gute sei und man irgendeinem Gregor oder Anton nicht widersprechen dürfte, nur weil er sich Großer und heilig schimpft. Aber Vorsicht scheint mir schon geboten und ein wenig höfliche Zurückhaltung im Urteil angebracht. Die lange Tradition intensiven Ringens um diese Fragen dem ersten Augenschein zu opfern setzt sich zurecht dem Vorwurf der Selbstgefälligkeit aus. Wie so oft sollte auch hier aufmerksames Zuhören dem ungebundenen Drauflosquatschen vorausgehen. Wenn man denn wirklich etwas erkennen, in dieser Frage wirklich zu einer überzeugenden Antwort kommen möchte, sollte wir uns wirklich auf die Schultern dieser Riesen setzen und gucken, ob wir auf ihrem Rücken etwas weiter zu sehen vermögen. Also versuchen wir hochzusteigen.
Es kann uns nicht richtig überraschen, dass der Autor der Summa Theologica die Existenz Gottes voraussetzt. Aber halt! Voraussetzung war letzte Woche. Jetzt soll’s dann doch bewiesen werden!?! War der Witz der letzten Woche nicht gerade, dass Voraussetzungen eben nicht bewiesen werden können? Und nicht bewiesen werden müssen! Wir begründen nur, was sich nicht von selbst versteht. Die Existenz Gottes ist freilich nicht in dem Sinne selbstverständlich und unbestreitbar, dass sie sich aus der Bedeutung der benutzten Wörter durch ihre richtige Benutzung „von selbst“ zeigt. Z.B. ergibt sich aus der recht verstandenen Bedeutung von „Ganzes“ und „Teil“ nach Thomas von selbst (analytisch), dass das Ganze größer ist als eines seiner Teile. In einem anderen Sinne sind Sätze selbstverständlich, wenn sie sich nicht vernünftig bestreiten lassen, weil sie zu diesem Zwecke bereits („immer schon“) benutzt werden müssten. Was wir brauchen, um bestreiten zu können, können wir nicht bestreiten. Thomas nennt hier die von Aristoteles beschriebenen Grundsätze des Begründens selbst (prima principia demonstrationis), also zum Bespiel den Satz des Widerspruchs bzw des ausgeschlossenen Dritten: zwei sich widersprechende Aussagen können nicht zugleich wahr sein.
Selbstverständlich wäre die Existenz Gottes in diesem Sinne dann, wenn aus dem, was wir (zurecht) unter Gott verstehen, seine Existenz selbstverständlich eingeschlossen wäre und sich von selbst verstünde. Das ist nach Thomas freilich nicht der Fall. Nach Thomas hat allerdings Anselm von Canterbury genau so argumentiert. Er wollte in seinem berühmten Gottesbeweis zeigen, dass sich mit der Vorstellung von Gott als etwas, über das hinaus nichts Vollkommeneres gedacht werden kann, seine Existenz zwingend eingeschlossen sei. Thomas macht dagegen wie viele vor und viele nach ihm geltend, dass erstens nicht jeder diesen „Begriff“ von Gott habe und dieses Verständnis deshalb nicht einfach vorausgesetzt werden dürfe. Und dass zweitens (und vor allem) aus diesem „Begriff“ die Existenz nicht gefolgert werden könnte: „Aber auch zugegeben, dass jedermann unter dem Ausdruck „Gott“ ein Wesen verstehe, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, so folgt daraus noch nicht, dass man dieses durch den Namen „Gott“ bezeichnete Wesen auch als wirklich seiend erkenne, sondern nur, dass es sich in unserem Denken findet. Wollte man weiter schließen, jenes Wesen, müsse auch in Wirklichkeit da sein, so müsste vorher feststehen, dass es in der Wirklichkeit etwas gibt, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann. Das geben aber die Leugner des Daseins Gottes nicht zu.“
Der Vorwurf des Thomas läuft auf eine petitio principii hinaus. Der Heilige Anselm ist demnach über einen simplen logischen Fehler gestolpert. Das Beißende der Kritik zeigt sich aber insbesondere durch ihren Kontext. Thomas verhandelt den Anselmschen Beweis (!) im Zuge der Frage, ob sich von selbst versteht, dass es Gott gibt (utrum Deum esse sit per se notum). Thomas lässt Anselm als eine der Stimmen auftreten, die die Selbstverständlichkeit der Existenz Gottes behaupten und damit einen Beweis für unnötig, ja unmöglich erachten. Selbstverständliches lässt sich nicht sinnvoll begründen. Es macht gerade das Selbstverständliche aus, dass es sich eben nicht aus anderem versteht.
Ich gestehe, dass ich der Ablehnung des Anselmschen Arguments durch Thomas nicht recht folgen will. Anselms Gedanke sollte nicht mit dem Hinweis auf logische Fehlerchen „entwirklicht“ werden. So wenig wie die Auseinandersetzung mit der Kritik von Thomas durch die Aufforderung ersetzt werden sollte, doch bitte Anselms Argument etwas genauer zu studieren. Ich verstehe die Kritik des Thomas viel zu gut, um sie einfach abzutun. Sehen wir auf seine eigenen (fünf) Wege zur Begründung des Daseins Gottes, dann wird sein Motiv für die Kritik Anselms überdeutlich. Thomas will vom Wirklichen ausgehen – nicht vom (bloß) Gedachten! Er setzt den Kopfgeburten die echte Erfahrung entgegen. Nicht der einsamen Studierstube des eigenen Kopfes entspringt wirkliches Dasein. Reinen Ideen und mathematischen Logeleien eignet es per se nicht! Die Welt, aus der Thomas sich dem Dasein Gottes zuwendet, ist eine wirklicher, leiblicher Erfahrung: hier wird nicht nur gedacht, sondern gemacht. Die Welt ist in Bewegung. Wir sind bewegt und alles um uns herum auch. Es gibt Bewegung! Bewegung ist Übergang von Potentialität in Aktualität, in wirkliches Sein und dieser Übergang setzt immer schon Aktualität, wirkliches Sein voraus. All dem Bewegten, aller Veränderung und allem Entstehen und Vergehen, geht wirkliches, tätiges Sein voraus. Dass etwas – um es mit Anselm zu sagen – in unserem Denken ist, ist privativ. Das Denken möge sich bitte nicht selbst überschätzen. Und wäre der Anselmsche Beweis gültig, er müsste um der Gefahr dieser Selbstüberschätzung willen kritisch bewertet und wohl besser in die zweite Reihe der Studierstuben gestellt werden.
Das ist mein Thomas, dem ich ergebenst folge. Und doch glaube ich, das Argument anders verstehen zu können, ja zu müssen. Ich muss zu „meinem“ hochgeschätzten Thomas dann doch auf meine Weise kommen. Ihm in seiner Ablehnung zu folgen, heißt eben nicht, auch Anselm abzulehnen. Darin stehe ich nicht alleine. Descartes, Leibniz und Hegel gingen mir da schon voraus.
Bloßes Denken ist privativ – wie recht Thomas doch hat und wie groß damit seine Nähe zu Anselm ist. Was bloß gedacht wird, kommt kein Sein zu. Alles Privative aber wird vom Vollkommenen her verstanden. Wer nicht weiß, was es heißt zu sehen, der könnte von Blindheit nicht reden. Blindheit verstehen wir vom Sehen, den Tod vom Leben, das Kranke vom Gesunden – auch dann, wenn wir die Gesundheit oftmals erst übers Kranksein wahrnehmen und wertschätzen. Denken heißt das Denken auf das Wirkliche zu überschreiten. Dass dem Denken etwas Wirkliches entspricht ist der „Normalfall“ unseres Denkens. Dass wir die Differenz denken können, setzt voraus, dass es etwas gibt, dessen Wesen es ist, zu sein. Wenn wir uns im Denken orientieren wollen, dann muss es etwas geben, dass die Differenz begründet, weil es sie schließt. Wenn Thomas gegenüber Anselm sagt, dass diese Differenz nur im Denken ist, dann mag er recht haben. Wir brauchen die Unterstellung – für uns und unser Denken (!) – dass es etwas gibt, dessen Gedanke Wirklichkeit einschließt. Denken setzt bereits Treffen der Wirklichkeit voraus. Denkend, mit unserer Unterscheidung von wahr und falsch, brauchen wir die Voraussetzung Gottes.
Voraussetzungen freilich können – so hieß es am 1. Advent – nicht begründet werden. Wird umwillen der Begründung des Daseins Gottes das Lichtchen dieser Einsicht bereits wieder unter den Scheffel einer Sacra Doctrina gestellt? Natürlich nicht. Thomas stellt ein zweite Kerze hinzu: neben der Begründung aus Voraussetzungen gibt es einen begründenden Weg zu Voraussetzungen. Konnte die erste Quaestio zeigen, dass aus Voraussetzungen, auch offenbarten, Schlüsse gezogen werden können, soll nun, aus den Wirkungen auf Ursachen geschlossen werden. Es geht nicht darum, Voraussetzungen aus „höheren“ Voraussetzungen abzuleiten, sondern von den Wirkungen auf ihre Ursachen zu schließen. Die Sache ist ein wenig komplizierter. Es folgt dem in den platonischen Dialogen wirksam gemachten dialektischen Verfahren. Nicht alles versteht sich von selbst. In der Unstimmigkeit unserer selbstverständlichen Erwartungen zeigt sich, dass wir den selbstverständlichen Voraussetzungen auf den Grund gehen müssen. Wir versuchen ausdrücklich zu machen, was uns im Handeln und Denken leitet. Und wir tun dies in der (dialektischen) Reflexion auf unsere gemachten Erfahrungen – die wir ja gerade auf Grundlage dieser vorausgesetzten Selbstverständlichkeiten machen. Wir verstehen, was wir denken und was uns im Handeln bewegt, und erproben unsere ausdrücklich gemachten Voraussetzungen im Denken und Handeln auf ihre Stimmigkeit. So schließen wir von der „Wirkung“ auf die „Ursache“, von unseren Meinungen und Strebungen, auf die Voraussetzungen, die sie „begründen“. In diesem Sinne stellen wir Vernunft und Glauben auf die Probe. Wir sehen, wieviel wir daraus ableiten, wieviel Stimmigkeit zu all den anderen Sätzen, die wir glauben, erzielt werden kann. Thomas spricht von einer „probatio“, einer begründenden Prüfung, der wir die Existenz Gottes unterziehen.
Wieder gilt, dass die Gottesbeweise den Glauben nicht ersetzen, sondern ihn voraus setzen. Dass auch Philosophen von Gott sprechen – und also eine Sacra Doctrina „brauchen“ – steht dem nicht entgegen. Ein erster unbewegter Beweger ist auch dem Philosophen ein Gedanke. Der Sacra Doctrina geht es aber um das Mehr. Wie verhält sich das, was wir durch Offenbarung und Gnade glauben, zu dem, was wir vernünftig einsehen und erschließen? Das Dasein Gottes muss an sich nicht bewiesen werden. Er muss für uns begründet werden, wenn, ja wenn, das Ziel ist, Vernunft und Glauben zu harmonisieren, uns als das zu verstehen, was wir selbstverständlich voraussetzen! Nicht für alle. Nur für diejenigen, die ihr Leben verstehend leben wollen. Nicht, um zu glauben. Wohl aber, um vernünftig zu glauben. Und das heißt als Mensch zu glauben, der sich mit seinem Glauben (ausdrücklich) vernunftig verhalten will.
Und genau hier liegt der eigentliche Anstoß des Befremdens, das heute mit dem Gottesbeweis einher geht. Es ist der allgegenwärtige Menefreghismo gegen alle oder jedenfalls solcherlei Ansprüche der Vernunft. Der Gottesbeweis ist nur ein besonders leichter, weil erhabener Angriffspunkt. Gott kann man nicht beweisen, sagen die einen und fühlen sich vom Druck des Ewigen befreit; Gott kann (und braucht man) nicht beweisen, sagen die anderen und fühlen sich in besonderer Weise zum Ewigen berufen. Beide feiern selbstgefällig ihr Unvermögen. Die Gottesfrage ist ein Anhaltspunkt, ob wir uns diesem Unvermögen überlassen wollen. Lassen wir einen Moment Gott beiseite. Mag es ihn geben oder auch nicht. Stellen wir dann die anderen Fragen, denen wir uns „irgendwie“ rühmen, die nach der Gerechtigkeit und dem Glück, nach der Wahrheit und Freiheit unseres Daseins? Dass in der philosophischen Tradition die Frage nach Gott nicht zweifelsfrei beantwortet wurde, unterscheidet sie nicht von anderen Grundfragen der Philosophie wie der nach Gerechtigkeit und Freiheit, nach der Wahrheit von Aussagen und dem höchsten Gut unseres Strebens.
Wovon glauben wir uns in und mit der Vernunft orientieren zu können? Bei den großen Fragen scheinen wir uns davon zunehmend verabschieden zu wollen. Me ne frego. Mir doch egal. Anders wenn wir uns über die Hausrenovierung Gedanken machen, die Anschaffung eines neuen Autos oder eine vermeintlich notwendige Operation. Hier wissen wir, dass Interessen im Spiel sind.Wir müssen deshalb die vorgebrachten Argumente sehr genau anhören und sie nach besten Möglichkeiten prüfen. Am Ende entscheiden wir danach! Nicht dass diese Argumente irgendwie sicherer wären – im Gegenteil. Sie sind handlungs- und interessenbelastet. Wissen wir wirklich, ob die Wärmeisolierung am Haus sich tatsächlich auszahlt, der ADAC-Test des neuen Audi objektiv und die ärztliche Auskunft über Risiken und Nebenwirkungen der Medikation verläßlich sind? Wir glauben uns sicherer als bei Gerechtigkeit und Freiheit, Wahrheit und Gottes Dasein, wissen es freilich weniger, weil wir uns ganz und gar auf die Autorität der Fachleute verlassen müssen. Wer glaubst Du fragt Gorgias seinen Gesprächspartner gilt als der bessere Arzt? Der Redner, medizinisch weitgehend unkundig, oder der erfahrene Arzt, der nicht im Reden zu überzeugen vermag? Eine im doppelten Sinn rhetorische Frage.
Wo wir dagegen zum Verstehen dessen kommen könnten, was wir „immer schon“ meinen, versagt unsere Aufmerksamkeit. Uns geht die Bereitschaft ab, die großen Fragen wirklich ernst zu nehmen. Diese Bereitschaft ist eine Fähigkeit, die nur bedingt in unserer Willkür liegt. Natürlich können wir uns selbst (am besten untereinander) ermahnen, aufmerksam zu sein und zuzuhören. Wirklich zuhören können wir aber nur, wenn wir dazu wirklich bereit und die Fragen uns ein wirkliches Problem sind. Ein Teufelkreis! Es gibt Gott! Me ne frego. Schade eigentlich.
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© 2014 Heinrich Leitner