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ST I, Quaestio 8 (HL)

    Sagen wir es barsch – er ist mit uns im…

    Heinrich Leitner (HL) ad primae partis quaestionem VIII

    De existentia Dei in rebus. – Über die Existenz Gottes in den Dingen.
    Editio Leonina (Q. 3-14)
    Lateinisch – Englisch
    Lateinisch – Deutsch

    Strange, isn’t it? – die Frage nach dem „Dasein Gottes in den Dingen“. Wir scheinen uns immer mehr in blutleere Fragen zu verstricken, deren Fragwürdigkeit uns Heutigen doch sehr fragwürdig erscheint. Wie anders der fulminante Auftakt der ersten drei Quaestiones: Die Erkenntnis göttlicher Dinge ist heilsnotwendig (q 1). Ok, so sei es! Doch kaum hatten wir mit stolz geschwellter Vernunftbrust in einem knappen Artikel, zack, zack, Gottes Dasein bewiesen (q 2), mussten wir verblüfft die Kargheit unserer Erkenntnis konzedieren (q 3): Die Eigenschaft der eigenschaftslosen Einfachheit Gottes führte zur Erkenntnis der Beschränkung auf nur „negative“ Erkenntnis im Spiegel spiegelverkehrter Analogie. Und der Hammerschlag der Fünften (das Wesen des Guten schlechthin) wurde umrahmt von eher staubigen Erörterungen zur Vollkommenheit Gottes (q 4), seinem Gutsein (q 6) und seiner Unendlichkeit (q 7) – alles umständliche Erläuterungen des Kleingedruckten der Einfachheit Gottes.

    Das ganz Besondere Gottes, seine absolute Einfachheit und seine absolute Vollkommenheit, ist nicht von dieser Welt. Er ist für uns nicht begreifbar. Unsere logisch sprachlichen Mittel kommen an ihre Grenzen. Was also hat er mit uns zu tun? Gut, er hat uns und die Welt geschaffen.
    „Sag: Danke!“ –
    „Danke.“ –
    „Danke.“ –
    „Bitte.“

    Nun ist aber gut.

    Seine absolute Transzendenz – kann er es überhaupt hören? – gibt auch eine beruhigende Distanz. Er schwebt unendlich über uns – und hat von uns Endlichen unendlichen Abstand. Und das ist die Herausforderung, der sich Quaestio 8 stellt: zwischen der Skylla der absoluten Immanenz Gottes, die ihn zur gehaltlosen prima Materia, zur amorphen Energie der Unbestimmtheit wirrer Esoterik macht, und der Charybdis der absoluten Transzendenz Gottes, deren erhabene Unzugänglichkeit seiner diesseitigen Bedeutungslosigkeit gleichkommt, gilt es mit ihm in „Berührung“ zu kommen.

    Thomas knüpft direkt an die letzte Quaestio an:
    „Da es nun dem Unendlichen eigen zu sein scheint, dass es überall und in allen Dingen ist, müssen wir untersuchen, ob dies auch bei Gott der Fall ist.“
    (Quia vero infinito convenire videtur quod ubique et in omnibus sit, considerandum est utrum hoc Deo conveniat.)

    Wir brauchen diesen Anknüpfungspunkt nicht allzu ernst nehmen. Und vielleicht auch nicht die begrifflich technische Form der Durchführung:
    „Gott ist in allen Dingen, nicht als ein Teil ihres Wesens, auch nicht als eine ihrer Eigenschaften, sondern wie das Wirkende in dem ist, was es wirkt.“
    (Deus est in rebus omnibus non quidem sicut pars essentiae, vel sicut accidens, sed sicut agens adest ei in quod agit)

    Gott ist natürlich nicht ein Wesensbestandteil der Dinge, keine definitorische Eigenschaft. Das wäre begrifflich reichlich sinnlos. Und schon gar nicht ist er eine akzidentielle Eigenschaft, die allen Dingen irgendwie zukäme. Das „In-Sein“ Gottes rührt aus seiner schöpferischen Aktivität. Es wird hier immer wieder auf die „scholastische“ Theorie der Kausalität hingewiesen, nach der es zum Wesen der Wirkung gehöre, dass die Ursache „in“ ihr „sei“. Lassen wir das auf sich beruhren.

    Tatsächlich ist das Sein des Seienden ein Akt der Schöpfung und ist als „Wirkung“ stete „Nachwirkung“ der Schöpfung. Die „Wirkung“ bezieht sich hier gar nicht auf das jeweilige Wesen (des Seienden). Die „Wirkung“ ist das Seiende als solches, sein Sein. Das Sein der Dinge kommt nicht aus ihrem Wesen, sondern „extra-begrifflich“ hinzu. Sein ist keine logische Kopula (prädikativ) wie das „ist“ in „Sokrates ist ein Mensch“ oder „Wale sind Säugetiere“. Das Sein des Seienden ist Ergebnis eines schöpferisch schaffenden Aktes, echter Kopulation. Das heißt freilich auch, dass Gott nicht im Wesen der Wesen, sondern als das Wesen des Seienden als Seiendem ihnen zukommt. Sein Wesen ist Sein.

    Behelfen wir uns mit der Analogie von Leib und Seele. Die Seele ist im Leib, sie erhält ihn. Sie ist das Lebendige in ihm, die ihn zu dem macht, was er ist. Ein Leib ist ein beseelter Körper. Die Seele kommt nicht einfach zu ihm hinzu, so als gäbe es den unbeseelten Körper, in den dann die Seele hineinführe und ihn beseelte und belebte. Analog „schafft“ Gott in den Dingen ihr Sein. Nicht als wäre darin eine Kraft, die das Wesen zum Sein motorisierte. Das Sein der Dinge erhalten sie von Gott als dem ersten Beweger. „Verläßt“ die Seele den Leib, stirbt er und wird zum leblosen Körper. Leblos kann er sein, weil er belebt war. Ohne wirkende Seele kein Leib. Ohne wirkenden Gott kein Seiendes. Das Seiende „zeigt“ seine göttliche Berührung durch sein Dasein.

    Juhuu, jetzt endlich wissen wir,
    Gott ist in Dir und auch in mir.

    Nur leider nicht in uns allein,
    auch im echten und im menschlichen Schwein!

    Von unsern Sachen, den guten und bösen,
    auch davon ist er nicht zu lösen!

    Sagen wir es knapp und durchaus barsch,
    er ist mit uns auch voll im Arsch.

    Gott kann nicht „in den Dingen sein“, so lautet ein Einwand, den Thomas selbst anführt, „sonst würde er auch in Dämonen“ sein. Kochen wir mit menschlichem Wasser und sprechen wir von bösen Buben oder Onkeln, Massermördern, Uranstäben oder Kinderkacke. Bitte die Windel nicht wechseln, da ist doch Gott drin! Und der Onkel, der wollte ja nur… und schließlich war doch Gott dabei.

    Nun ja, wer mit uns auch die etwas schwerfälligeren, technischen Questiones durchlaufen ist, dem fällt es nicht schwer, mit großer begrifflicher Sachlichkeit und Strenge zu antworten. Der Dämon als Dämon ist eine Privation, ein Mangel. Sein Sein freilich ist durch Gott. Alles was ist, ist qua Sein, gut (der Hammerschlag aus q 5). Dem Seienden mag als diesem Seienden die ihm eigene Vollkommenheit mangeln. Als Seiendem kommt ihm aber etwas zu, das es schöpferisch ins Sein setzt und von etwas berührt wird, das aus seinem Wesen nicht folgt. Die größte Kacke zeugt noch vom schöpferischen Wunder, dass etwas ist und nicht vielmehr nichts.

    Das Dasein Gottes in der Schöpfung stößt nun das Tor auf zu echter Begegnung. Die unmittelbare Gegenwart Gottes ist zunächst unbestimmt, das bloße Sein des Seienden. Zugleich gibt es dem Seienden als formierte Materie sein Wesen und damit die finale Bestimmung der Vollendung seines Daseins. Die Dinge können ihr Dasein, ihre Aktualisierung freilich nur wesenskonform vollziehen.

    Es gibt aber ein zweifache – und also noch eine andere Form des Daseins Gottes in den Dingen. Neben dem schlichten Wirken Gottes in allen geschaffenen Dingen (qua Sein) gibt es zweitens ein Dasein Gottes in den Dingen „nach der Art, wie der Gegenstand der Tätigkeit im Tätigen ist und das finden wir in eigentümlicher Weise bei den Tätigkeiten der Seele sofern das Erkannte im Erkennenden und der Gegenstand der Liebe im Liebenden liegt. Nach dieser zweiten Art ist Gott in ganz besonderer Weise in den vernunftbegabten Wesen, die ihn erkennen und lieben.“ (alio modo, sicut objectum operationibus est in operante: quod prorium est in operationibus animae, secundum quod cognitum est in cognoscente, et desideratum in desiderante. Hoc igitur secundo modo, Deus specialiter est in rationalie creatura, quae cognoscit et diligt ipsum actu vel habitu)(ST q 8, art. 3)

    Das ist der entscheidende Punkt. Das ist der gesuchte Berührungspunkt. Anders als die unvernünftigen Dinge können wir, ja müssen wir, unsere Bestimmung erkennen. Das ist die Aufgabe eines selbstbestimmten, gelingenden Lebens. Wir erkennen in der Sacra Doctrina die Gegenwart Gottes in uns. Dieses Erkennen ist eine Anteilnahme besonderer Art, sie ist heilsam.

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    © 2015 Heinrich Leitner

    Reditio ad initium