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ST I, Quaestio 6 (HL)

    Drei Exkurse bevor das Fernsehen langweilt

    Heinrich Leitner (HL) ad primae partis quaestionem VI

    De bonitate Dei. – Über das Gutsein Gottes.
    Editio Leonina (Q. 3-14)
    Lateinisch – Englisch
    Lateinisch – Deutsch

    Diesmal kann ich es kurz machen. Alles ist für die Beantwortung der Frage (gleich mehrfach) bereit gelegt. Gott existiert (ST i, q 2, art 3) und er ist vollkommen (st i, q 4, art 1). Alles was ist, ist gut (st i, q 5, art 3). Gut ist das, wonach alles strebt, nämlich die Vollkommenheit. Also ist Gott gut und nochmal gut. Fertig. – Was kommt heute im Fernsehen?

    Exkurs i

    Gut ist Gott natürlich auf seine Weise. Er ist es „ganz vorzüglich“ (preeminetly). Ein bisschen Distinktion, braucht’s natürlich schon! Eine ähnliche Besonderheit wurde auch bei der Vollkommenheit betont. Vollkommen ist Gott nicht in der Weise, die wir kreatürlichen Dingen zusprechen. Vollkommen schon, aber irgendwie besser, halt irgendwie vollkommener. Er erstrebt nichts, das dann erfüllt würde, nämlich Verwirklichung seiner Natur. Insofern wäre Gott auch nicht gut! Er ist vollkommen, weil ihm nichts mangelt, sein Sein (immer schon) seinem Wesen entspricht. In ihm ist Begriff, Wesen und Sein nicht zu trennen. Er ist sein Wesen und sein Wesen ist wirklich zu sein. Wenn wir von Gott sagen, er sei vollkommen und gut, dann tun wir das immer „analog“. Und dabei geht schnell einiges durcheinander – und gefühlt tut es das auch bei Thomas. Also lieber noch schnell ein zweiter Exkurs.

    Exkurs ii

    Die Frage nach dem Guten im Allgemeinen (st i, q 5) bekam für moderne Geister einen irritierenden Spin, den der umkehrbaren Eindeutigkeit zwischen Seiendem und Gutem: alles Gute „ist“ Seiendes, klar, aber alles Seiende ist auch gut! Hat das Konsequenzen für unser sittliches Verständnis vom Guten, für das, was wir in der Welt menschlichen Handelns gut nennen? Dort unterscheiden wir Nützliches, Edles und Angenehmes. Gilt das noch? Das Gute ist das Ende der strebenden Bewegung. Das Streben kommt zur erfüllten Ruhe und „wird das Angenehme genannt“ (id autem quod terminat motum appetitus ut quies in re desiderata, est delectatio) (st i, q 5, art 6, c). Auf dem Weg zum Ziel gibt es Zwischenziele. Wir erstreben etwas um willen von etwas, dem eigentlichen Ziel. Etwas, das um willen von etwas anderem erstrebt wird, ist ein Mittel und als solches nützlich. Das, was um willen seiner selbst erstrebt wird, wird honestum genannt. Die deutsche Thomas-Ausgabe übersetzt es mit „edel“, die englische mit virtuous. Edel und virtuous implizieren nicht von ungefähr eine sittliche Bedeutung. Der Unterschied von um willen seiner selbst und um willen von etwas anderem ist freilich ein struktureller. Um-willen von etwas setzt etwas voraus, das um willen seiner selbst erstrebt wird. Natürlich können wir ein Spiel spielen, um uns zu entspannen und so fit für den Business-Alltag zu machen. Diese Entspannung setzt freilich nur ein, wenn wir der Natur des Spiels wirklich folgen und es um seiner selbst willen spielen. Gleiches gilt für Spaziergänge, das Hören von Musik und das Betrachten schöner Dinge. Unser Leben wird nicht um willen von etwas anderem geführt. Es soll einfach nur gelingen. Und dazu braucht es vielerlei und im richtigen Gefüge.

    Güter gibt es im Plural und in einem hierarchischen Verhältnis. Dabei ist die Zweck-Mittel-Hierarchie gelegentlich irreführend. Neben dem Um-willen des Mittels gibt es das Um-willen der Teile fürs Ganze. Ein schöner Urlaub ist nicht „direkt“ (intentione recta) zu erstreben. Er besteht aus Spaziergängen, Gesprächen und Landschaftserlebnissen, die nicht als Mittel zum Zweck erstrebt werden dürfen. Jeden Tag ein Spaziergang, zwei Gesprächsgruppen und einige Guck-ins-Land-Schönheiten und die Sache ist geritzt – aber nicht gelungen. Die Teile müssen als Teile um willen ihrer selbst erstrebt werden und können sich dann ins glückliche Ganze fügen. Wie der Urlaub so das Leben – das Ganze nur mit Arbeiten, Kochen, Bettenmachen und Toiletteputzen, Familienfesten und -streitereien, Kollegen und Nachbarn.

    Die Güter sind für das Gelingen unseres Lebens in einer gewissen Ordnung. Sie sind gerichtet. Sie dienen dem und sind Teil des gelungenen Lebens. Werden wir gefragt, warum wir dies und das tun, dann lautet die letzte Antwort, die wir geben können, weil wir es als Teil des gelungenen Lebens betrachten. Thomas glaubt nun in ST I, q 4, art. 2 und q 5, art 6 gezeigt zu haben, dass die Vollkommenheit des Seienden in der Vollkommenheit Gottes vereinigt ist und dass die Ordnung der Güter auf ein letztes, höchstes Gut jenseits der menschlichen Handlungswelt dem „Wesen des Guten entspricht“ (haec divisio proprie competere bono, secundum quod bonum est). Lassen wir das dahingestellt. Die Konsequenz wird nun in Artikel 2 gezogen:

    „Gott ist das höchste Gut schlechthin hin und nicht nur einer bestimmten Gattung oder Seinsordnung.“
    (Deus est summum bonum simpliciter, et non solum in aliquo genere vel ordine rerum)(art. 2)

    Gott ist nicht nur gut, er ist das höchste Gut schlechthin und damit für alles. Thomas begründet das mit Hilfe der vorausgehenden Untersuchungen. Die Vollkommenheit der Dinge ist durch Gott geschaffen. Sie fließen aus ihm als ihrer „Ursache“ hervor (effluunt ab eo, sicut a prima causa). Und so gründet das erstrebte Gute der geschaffenen Dinge im Schöpfer. Nun ja, einen rechten Mehrwert kann ich darin nicht erblicken.

    Reden wir nicht gleich über alles. Reden wir von uns. Gott ist unser höchstes Gut? Nicht das Glück der eudamonia, die beatitudo des gelingenden Lebens? Nicht die eigene Vollkommenheit im Sinne einer Verwirklichung der menschlichen Natur? Doch, das alles auch und noch viel mehr. Wir erinnern uns an die Rechtfertigung der Sacra Doctrina. Sie ist notwendig für unser Heil. Es ist uns im Glauben Erlösung (soteria) verheißen, beatitudo aeterna, vollkommene Glückseligkeit. Ein Mehr, das die Beziehung zu Gott impliziert. Also ist die Sache eigentlich gar nicht so überraschend.

    Exkurs iii

    Gott ist das höchste Gut schlechthin, also in Sonderheit „unseres“. Gut ist das, wonach wir verlangen. Wir verlangen demnach nach Gott. Klingt gut. Und alles andere, das wir verlangen, verlangen wir um willen seiner. Was verlangen wir denn, wenn wir nach ihm verlangen? Sitzen zur Rechten Gottes – am reich gedeckten Tisch des Herrn? Nähe und Zuwendung? Fuck me Jesus!? Glanz und Gloria mit reinem Engelsound.

    Wir verlangen nach ihm als dem wirkenden Schöpfer. Höchstes Gut ist er uns als „Ursache“, als Schöpfer unserer Natur und unseres Ziels. Ihn als Gut zu erlangen, heißt uns in besonderer Weise verwirklichen. Tatsächlich sind wir in unserer Natur auf ihn ausgerichtet. Was wir dabei erstreben ist „die Verähnlichung mit ihm durch Teilnahme“ (hoc enim est quod de ipso appetitur, ut eius similitudo participetur). Thomas hatte zu Beginn die Erkenntnis der göttlichen Dinge als Bedingung des menschlichen Heils ausgezeichnet. Es ist die Schau Gottes. Schau der Vollkommenheit aller Dinge. Verstehen, was ist. CDH hat da in der letzten Woche schon vorgearbeitet.

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    © 2015 Heinrich Leitner

    Reditio ad initium